Was ist wahre Liebe?
Ich habe Liebe vor dem Fernseher gelernt
Viele Jahre, ja sogar mehrere Jahrzehnte dachte ich, dass Liebe so wäre, wie sie in Filmen und Serien gezeigt wird. Ich wuchs ohne Vater, dafür aber mit umso mehr Rosamunde Pilcher-Filmen auf, die meine Mama stets Sonntagabend schaute. Was partnerschaftliche Liebe ist, habe ich daher nicht innerhalb einer Familie, sondern vor dem Fernseher gelernt. Und daher glich mein Bild von einer Beziehung in etwa dem Plot eines Liebesfilms: Liebe auf den ersten Blick, ein paar Herausforderungen, die man bewältigen muss und ab da reitet man gemeinsam in den Sonnenuntergang und ist für immer glücklich.
Je mehr ich mich jedoch mit dem Thema „Liebe“ ein wenig intensiver beschäftigte, verstand ich, dass dies vielleicht die erste Phase des Verliebtseins beschreibt, wahre Liebe jedoch eine ganz andere Dynamik hat. Insbesondere das Buch „The Worldbook of Love“ (Leo Bormans, Dumont-Verlag) hat mich bei meiner Suche nach dem Kern wahrer Liebe – die so viele von uns antreibt – entscheidende Schritte vorangebracht.
Das Buch ist groß, schwer und besteht aus mehr als hundert wissenschaftlichen Perspektiven auf das Thema Liebe. 349 Seiten Weisheit zu meinem Lieblingsthema. Mit dem Lesen dieses Buches begann die Liebes-Aufklärung in mir, denn es öffnete mir die Augen fernab von Hollywood-Romantik und Liebeskitsch. Jede neue Seite öffnete mir ein Tor mich selbst mit meinen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen zum Thema Liebe besser zu verstehen.
Was heißt: „Ich liebe dich“?
Der Text, auf den ich mich in diesem Artikel beziehe hat den Titel „Was heißt „Ich liebe dich“?“ und beginnt mit folgender Aussage: „Suchen Sie jemanden, der mit dem Wort Liebe ungefähr das Gleiche meint wie Sie.“ Bereits hier lässt sich erahnen – das, was ich unter Liebe verstehe, muss nicht das sein, was du für dich darunter abgespeichert hast. Liebe lässt sich nicht abwiegen oder so richtig gut beschreiben. Es ist ein Gefühl, dass in uns wohnt oder durch andere in uns entfacht wird. Sehr subjektiv und wenig objektivierbar. Ein „Ich liebe dich.“ – obwohl es immer wieder die gleichen drei Worte sind – kann für zwei Menschen, die es sich gegenseitig sagen, komplett unterschiedliche Bedeutungen haben. Es kann genauso ein „Ich begehre dich.“ wie ein „Ich will mit dir mein Leben verbringen.“ sein. Und genau hier liegt die Krux: Nur weil wir das Gleiche sagen, heißt es nicht, dass wir auch dasselbe meinen.
Ich versuche mich also der Definition von Liebe zu nähern. Der Psychologe Robert J. Sternberg hat dazu die Dreieckstheorie der Liebe aufgestellt – der Versuch eines Erklärungsmodells. Demnach seien die Grundkomponenten der Liebe: Intimität, Leidenschaft und Verbindlichkeit. Dahinter verstecken sich folgende Aspekte:
Intimität: Füreinander da sein, sich vertrauen, gegenseitig für sich sorgen, miteinander in offenem Austausch stehen und Empathie sowie Verständnis für den anderen aufbringen.
Leidenschaft: Es ist der Kick des Verliebtseins, die Aufregung und Energie, die mit einem Mal durch die Adern fließen und die Euphorie, die einen packt, wenn man von der anderen Person fasziniert ist.
Verbindlichkeit: Der wichtigste Aspekt beim Übergang von Liebe in Partnerschaft. Es ist der Entschluss, sich auf diese eine Person dauerhaft einlassen zu wollen. Nicht nur ein Ja, für den Moment, sondern ein Ja auf Dauer. Ein Ja für eine Zukunft, in der man nicht weiß wie sich die Level an Intimität und Leidenschaft entwickeln werden. Es braucht Charakterstärke, dieses Ja auszusprechen und es wirklich zu meinen.
Höchst spannend ist nun Folgendes: Je nachdem wie ich diese drei Grundkomponenten mische, so entstehen unterschiedliche Arten von Liebe bzw. des Miteinanders.
Wahre und vollendete Liebe ergibt sich, wenn alle drei Aspekte zusammentreffen. Ein Paar, das in gegenseitigem Austausch und füreinander da ist, das immer noch die berühmten Schmetterlinge im Bauch hat und sich entschieden hat langfristig zusammensein.
Romantische Liebe ist das Zusammenkommen von Intimität und Leidenschaft ohne Verbindlichkeit.
Kameradschaftliche Liebe ist Intimität und Verbindlichkeit bei gleichzeitigem Fehlen von Leidenschaft.
Verblendete Liebe ist Leidenschaft plus Verbindlichkeit ohne Intimität.
Gern haben ist Intimität allein.
Vernarrt sein ist, wenn nur Leidenschaft allein auftritt.
Leere Liebe ist Verbindlichkeit ohne die anderen zwei Aspekte.
Außerdem zeigen die o.g. drei Aspekte typische Veränderungen über die Dauer von Beziehungen: Zu Beginn ist die Intimität eher gering, im Optimalfall wächst sie allmählich und nimmt Jahr um Jahr zu. Scheitert die Liebe und halten Geheimnisse Einzug in die Beziehung, sinkt auch die Intimität. Dagegen ist die Leidenschaft wie eine Sucht. Sie verursacht das Liebes-High am Anfang und setzt uns auf die rosarote Wolke. Wir sind von dem anderen begeistert und wollen nichts als das Gute sehen. Zu Beginn überschütten uns unsere Glückszentren mit Wohlfühlhormonen. Mit der Zeit entsteht hier eine Gewöhnung, denn den Ausnahmezustand der ersten Wochen und Monate könnten wir physiologisch gar nicht dauerhaft aushalten. Er ist evolutionsbiologisch dafür gedacht, dass wir dem anderen unsere ganze Aufmerksamkeit zukommen lassen und unsere Welt und unsere Gedanken sich komplett um ihn oder sie drehen und wir möglichst viel und engen Kontakt suchen. Schließlich würden wir Menschen aussterben, wenn sich keiner um die Fortpflanzung kümmert. Also sind wir während der Anfangsphase sexuell hochaktiv und können uns kaum beherrschen und die Finger voneinander lassen. Mit der Zeit pendeln wir uns auf einem niedrigeren Niveau ein. Wird die Phase der intensiven Leidenschaft abrupt beendet, entstehen Entzugserscheinungen wie beim kalten Entzug. Es ist die Phase des Liebeskummers und des Herzschmerzes, der so unendlich wehtut und nach Wiederaufnahme des Kontakts zu dem anderen schreit. Es braucht eine Weile, um dies zu überwinden. Verbindlichkeit dagegen wächst auch über die Zeit an. Gelingende Beziehungen verzeichnen einen kontinuierlichen Zuwachs an Verbindlichkeit, scheiternde Paare hingehen verlieren diesen Aspekt.
Wenn man nun die Verlaufskurven der drei Komponenten übereinanderlegt, wird deutlich, welche Arten der Liebe sich wann zeigen. Die romantische Liebe ist die anfängliche Faszination füreinander, wenn die rosarote Brille noch fest auf der Nase sitzt. Die Leidenschaft ist groß und die Intimität steigt. Ob daraus echte Liebe wird, entscheidet die Verbindlichkeit der Partner. Kameradschaftliche Liebe (Intimität plus Verbindlichkeit) ist die Liebe in langjährigen Beziehungen, wenn die Leidenschaft nachgelassen hat, aber Intimität und Verbindlichkeit Stück für Stück ansteigen.
Nicht jeder hat die gleichen Ansprüche was Liebe und Miteinander angeht. Wichtig ist hier, dass du mit deinem (zukünftigen) Partner ein gutes Erwartungsmanagement betreibst und ihr darüber sprecht, was ihr jeweils voneinander wollt. Damit beide Partner glücklich sind, ist es nämlich entscheidend, dass sich die Vorstellungen über die drei Grundkomponenten der Liebe ausreichende Schnittmengen haben. Daher können Affären wunderbar funktionieren, wenn beide nur eine Affäre wollen. Will einer Verbindlichkeit und der andere scheut diese oder lebt sie mit einer anderen Person aus, wird es schwierig.
Mir hilft dieses Konzept die verschiedenen Formen der Liebe besser einordnen und abwägen zu können, mit welchem Menschen es Sinn ergibt in eine Beziehung zu starten. Mein heutiger Partner hat dieses Thema übrigens von selbst relativ früh in unserer Kennenlernphase angesprochen – er hatte nämlich auch keine Lust mehr auf Casual Dating und wollte sichergehen, dass wir das gleiche im Sinne haben. Es sind also nicht immer die Frauen, die einen Mann für Committment begeistern und von einer festen Beziehung überzeugen müssen. Fürchte dich also nicht das Thema anzusprechen – wenn dein/e PartnerIn mit dir in den Sonnenuntergang reiten möchte, freut er/sie sich, wenn ihr darüber sprecht und eine gemeinsame Absicht für eurer Miteinander formuliert. Und wenn sich dein Datingobjekt davon unter Druck gesetzt fühlt, dann ist es das auch ok. Denn dann weißt du besser früher als später woran du bist und kannst auf einen Menschen warten, der auch die Verbindlichkeitskomponente mit dir leben will.
Corona-tipp:
Nimm dir einen Moment und überlege dir, was du in einer Beziehung wirklich willst. Es ist überaus wichtig dies zu wissen und zu allem anderen rigoros Nein zu sagen. Gerade in dieser Corona-Zeit wird so vielen von uns klar, was wir wirklich brauchen und was uns wirklich wichtig ist. Wenn es z.B. nur diese/r eine Freund/in ist, die/den du sehen darfst, überlegst du genau wenn du auswählst und wer dir am meisten bedeutet bzw. mit wem du die beste Zeit hast. Warum ist das so? Was gibt dir dieser Mensch? Was bedeutet dir das Zusammensein mit dieser Person? Was lässt dein Herz im zwischenmenschlichen Kontakt singen? Von der Eigenschaft deiner Freundschaften kannst du viel über die Partnerschaft ableiten, die du dir wünschst. Dein Partner sollte nämlich im Idealfall auch dein bester Freund sein.